Wer soll das bezahlen? Vielleicht ... - Teil 2

von Redaktion Familienbund

Der Countdown zur Bundestagswahl am 26. September 2021 läuft. Diese Zeit möchten der Caritasverband und der Familienbund im Erzbistum Paderborn nutzen, um Möglichkeiten der Finanzierung unserer Sozialversicherungen zu beleuchten. Hierzu haben wir einige Statements von Fachfrauen und -männern aus Verbänden und Parteien angefragt, die wir wöchentlich vorstellen. Wir erheben dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit der Positionen, sondern zeigen die Vielschichtigkeit des Themas durch unterschiedliche Facetten und Sichtweisen auf.

„Wer soll das bezahlen? Vielleicht …“ Wäre die Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze ein geeigneter Finanzierungsweg?


Die Sozialversicherung gerät durch den demografischen Wandel unter Druck. Wenn die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer in den Jahren ab 2030 in Rente gehen, stehen immer mehr Leistungsempfänger einer immer geringeren Zahl an Beitragszahlern gegenüber. Wenn die Beitragszahler insgesamt pro Kopf mehr zahlen müssen, stellt sich die Frage, wie diese steigenden Lasten gerecht verteilt werden können. Naheliegend ist das Leistungsfähigkeitsprinzip: Starke Schultern sollten mehr tragen als schwächere. Nach einem breiten Konsens in der Gesellschaft ist das sozial. Leider funktioniert ausgerechnet die Sozialversicherung in ihrer Finanzierung genau umgekehrt. Bei den Sozialversicherungsbeiträgen werden Geringverdienende prozentual am stärksten belastet, Gutverdienende am wenigsten. Und das liegt unter anderem an der Beitragsbemessungsgrenze.
Während der Einkommensteuertarif progressiv verläuft, indem er im unteren Einkommensbereich Freibeträge für existenznotwendige Ausgaben gewährt und die Belastung mit steigendem Einkommen immer weiter erhöht, verläuft die Belastungskurve bei den Sozialversicherungsbeiträgen umgekehrt. Der für alle gleiche Beitragssatz wirkt wie eine Flat-Tax, die mangels Freibeträgen für das Existenzminimum bereits bei Geringverdienern voll zuschlägt. Da jenseits der Beitragsbemessungsgrenze keine Beiträge mehr anfallen, bleibt die prozentuale Belastung aber nicht dauerhaft gleich. Stattdessen sinkt sie bei hohen Einkommen ab. Spitzeneinkommen zahlen nur noch einen kleinen Anteil ihres Gesamteinkommens in die Sozialversicherung ein. So gut die Gründe für dieses Finanzierungssystem bei der Einführung auch gewesen sein mögen: Im demografischen Wandel ist diese degressive Abgabenbelastung nicht mehr haltbar. Ein wichtiger Reformschritt ist die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenzen.
Freilich setzt diese Anhebung im Fall der gesetzlichen Rentenversicherung auch moderate Anpassungen beim Äquivalenzprinzip voraus, das bei höheren Beiträgen auch gleichermaßen höhere Renten verspricht. Denn wenn die erhöhten Einnahmen an der einen Stelle durch stark erhöhte Ausgaben an einer anderen Stelle kompensiert werden, ist für die Finanzierung nichts gewonnen. Der richtige Grundgedanke des Äquivalenzprinzips, dass höhere Beitragszahlungen auch zu höheren Renten führen, sollte erhalten bleiben. Denkbar wäre aber eine gedämpfte Äquivalenz, die beispielsweise bei doppelt so hohen Beiträgen nicht eine doppelt so hohe Rente verspräche, sondern einen etwas niedrigeren Faktor vorsähe.
Wer das für einen Tabubruch hält, führe sich vor Augen, dass der ungefähr ein Drittel der Einnahmen der Rentenversicherung ausmachende und in Zukunft weiter stark steigende Steuerzuschuss die Abgabenäquivalenz bereits jetzt durchbricht. Im Hinblick auf mögliche verfassungsrechtliche Probleme, ist darauf hinzuweisen, dass es im Verfassungsrecht immer um eine Güterabwägung geht. Die Finanzierung und Erhaltung des Sozialstaats ist ein überragend wichtiger Grund des Allgemeinwohls. Unter stark veränderten demografischen Rahmenbedingungen gibt das Grundgesetz dem Gesetzgeber den Spielraum, auch bisherige Finanzierungsgrundsätze im Rahmen des Erforderlichen zu verändern.
In einem zersplitterten System der Alterssicherung und Gesundheitsvorsorge können allerdings Reformen zur Stärkung der Solidarität der Sozialversicherung bei nunmehr stärker belasteten Beitragszahlern zu einem Anreiz führen, sich der Sozialversicherung zu entziehen. Es ist daher wichtig, die Diskussion um eine An- oder Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze nicht isoliert, sondern im Rahmen einer Debatte über eine grundsätzliche Reform der Sozialversicherung und die Einführung einer Bürgerversicherung zu führen. Ohnehin verlangt der demografische Wandel, neben der Beitragsbemessungsgrenze weitere Stellschrauben zur Finanzierung der Sozialversicherung in den Blick zu nehmen. Eine große Reform der Sozialversicherung braucht allerdings politische Mehrheiten und Zeit. Einstweilen bleibt es daher unvermeidlich eine sozial gerechtere und nachhaltigere Finanzierung der Sozialversicherung durch eine Erhöhung der steuerfinanzierten Bundeszuschüsse herbeizuführen.

Matthias Dantlgraber, Bundesgeschäftsführer des Familienbundes der Katholiken (Bundesverband) e.V.

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